10. gbs Dresden und Giordano-Bruno-Stiftung berufen sich sehr stark auf die Evolutionstheorie. Läuft dies nicht auf eine Legitimation sozialdarwinistischer Denkmodelle hinaus?
Charles Darwin hat unser Weltbild revolutioniert wie kaum ein anderer. Erst seit Darwin beginnen wir zu ahnen, wer wir sind und woher wir stammen. Doch leider laden große Ideen auch zu großem Missbrauch ein – und die Evolutionstheorie war keine Ausnahme von der Regel. Wir alle wissen um die grausamen Konsequenzen des Sozialdarwinismus, insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Daran gibt es nichts zu beschönigen! Allerdings sollte in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass der sog. Sozialdarwinismus, der sich eben nicht zwingend aus Darwins Schriften ableiten läßt und den er persönlich verabscheut hätte, auf einer groben Verzerrung der realen Verhältnisse in der Natur beruht. Denn in der Natur geht es keineswegs, wie Sozialdarwinisten unterstellen, allein um das rücksichtslose Durchsetzen eigener Interessen auf Kosten anderer, sondern auch um Altruismus, Solidarität und Empathie. Zudem beruht der Sozialdarwinismus auf dem sog. naturalistischen Fehlschluss, der aus einem unterstellten Sein (Kampf ums Überleben in der Natur) unreflektiert ein ethisches Sein-Sollen ableitet (vermeintliches „Recht des Stärkeren“).
Wer sich in der Wissenschaftstheorie auskennt, weiß: Als wissenschaftliches Erklärungsmodell kann und will die Evolutionstheorie gar nicht vorschreiben, wie die Welt sein sollte, sondern nur beschreiben, wie die Welt ist, und erklären, warum sie so ist, wie sie ist. Wie wir als Gesellschaft mit den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie umgehen, lässt sich aus der Evolutionstheorie selbst nicht ableiten. Denn dies ist keine Frage der empirischen Wissenschaft, sondern eine Frage der philosophischen Reflexion – und exakt an diesem Punkt setzt der evolutionäre Humanismus an.
Evolutionäre Humanisten deuten evolutionäre Erkenntnisse in humanistischer Weise und wehren sich deshalb in aller Entschiedenheit gegen sozialdarwinistische Denkmodelle, die Darwins bahnbrechende Erkenntnisse missbrauchen, um inhumane Lebensbedingungen zu legitimieren. Mit dem berühmten Evolutionsbiologen Stephen J. Gould halten evolutionäre Humanisten an der rationalen Überzeugung fest, dass Homo sapiens sehr wohl das Potential besitzt, ein besonders sanftes, kluges und kreatives Tier zu sein. Setzen wir also alles daran, dass sich diese positiven Potentiale unserer Spezies entfalten können! Wir wissen natürlich nicht, ob es uns gelingen kann, die Verhältnisse so zu verändern, dass sich die Geschichte der Menschheit, die bislang über weite Strecken eine Geschichte der Unmenschlichkeit war, künftig in einer humaneren Weise fortentwickelt. Doch immerhin: Die Evolutionstheorie lehrt uns, dass die Welt beständig im Wandel ist – und dies dürfen Humanisten, die sich mit dem realen Leid auf diesem Planeten nicht einfach abfinden können, durchaus als eine Quelle der Hoffnung begreifen!
Eine Antwort auf FAQ 10