Das „11. Gebot“ in Leipzig und die Kritik

Unter dem Titel „Stark überzogene Forderungen“ berichtete „Diesseits – Das humanistische Magazin“ online über die Kunstaktion „Das Elfte Gebot“ in Leipzig. Die Aktion stellte die massive öffentliche Finanzierung des Katholikentages 2016 in Leipzig in Frage. Insgesamt sollen rund 4,5 Millionen Euro aus öffentlicher Hand für das religiöse Groß-Event bereitgestellt werden.

Während die Giordano-Bruno-Stiftung und andere zivilgesellschaftliche Akteure diese Finanzierung gern gestrichen sehen würden, empfindet der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) solche Forderungen als „Kirchenkampf par excellence“. Der Artikel von Chefredakteur Arik Platzek war am 19.07.2014 auf diesseits.de erschienen.

Es scheint sehr legitim, dass diesseits und der HVD ihre Einstellung zur Kirchensubventionierung kundtun, auch und gerade, wo diese Standpunkte von denen der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) abweichen. Insofern gefällt die Einleitung des Artikels und der Satz „Doch es gibt auch Atheisten, die das generelle Nein zur finanziellen Förderung ablehnen.“ Wäre es bei einer Nebeneinander-Stellung der unterschiedlichen Herangehensweisen von HVD und gbs geblieben, könnte man dem Ganzen wohl zustimmen.

Klar: Gleichbehandlung von religiösen und säkular-humanistischen Menschen und Institutionen ist auf (mindestens) zwei Wegen zu erreichen. Entweder man nimmt der einen Seite die Privilegien, oder man weitet sie auf die andere Seite (und weitere religiöse und weltanschauliche Gruppierungen) aus. Beide Ansätze haben unbestritten ihre Schwachstellen und Fallstricke.

Die gbs hat sich dafür entschieden, die Privilegierung der christlichen Institutionen nachdrücklich in Frage zu stellen. Der Artikel in diesseits benennt diese Bestrebungen gleich zu Beginn mit Schlagworten wie „Kirchenkampf“, „Kulturkampf“ und Reminiszenzen an die Kaiserzeit. Das erscheint enorm übertrieben und auch sachlich nicht mehr angemessen. Hier geschieht eine Abwertung bis Diffamierung der „11. Gebot“-Kampagne, wird mit Attributen wie „radikal“ und „extremistisch“ gearbeitet. Wozu das Ganze?

Fakt ist doch: Mit dem EKT 2011 in Dresden und dem Katholikentag 2016 in Leipzig werden in Sachsen binnen fünf Jahren über 12 Millionen Euro aus allgemeinen Steuertöpfen an religiöse Events vergeben – und wie der Artikel richtig benennt, steht der allergrößte Teil der Bevölkerung (80-85%) in diesem Bundesland solchen Kirchentagen völlig indifferent gegenüber. Dezidiert glaubensferne Menschen fühlen sich von diesen Events nicht angesprochen, zur Teilnahme auch nicht eingeladen. Ganz im Gegenteil: Die Selbst- und Außendarstellung der Kirchentage schreckt viele hiesige Atheistinnen und Atheisten enorm ab. Dazu unten mehr.

Die überwiegende Menge der TeilnehmerInnen dieser Events kommt jedenfalls aus anderen Gegenden der Bundesrepublik – die jeweils gastgebende Stadt bietet nur die Leinwand, auf der sich die Kirchen präsentieren. Und das tun sie nicht zu knapp!

Am Elbufer in Dresden prangten 2011 mehrere etwa 20 Meter hohe Kreuze vor der Barock-Silhouette – erinnernd an den Annexions-Duktus frühneuzeitlicher Entdecker-Fahrten, als man noch Flaggen in den Boden fremder Eilande rammte, wurde da öffentlicher Raum beschlagnahmt. Öffentliche Gebäude wurden in Magenta (der Farbe des EKT) großflächig beflaggt.

Die Innenstadt war fünf Tage lang abgesperrt und ähnlich unbegehbar wie sonst nur rund um den 13. Februar, wenn Neo-Nazis und Antifa ihre jeweiligen Demonstrationen und Blockaden abhalten. Als Dresdnerin oder Dresdner konnte man an vielen Stellen nur gegen Eintritt ins Stadtzentrum.

Einige Schulen blieben tagelang geschlossen, weil sie als Unterkünfte für BesucherInnen des Kirchentages genutzt wurden. Statt Bildung gab’s an diesen Tagen ein Missions-Event.

A propos „Mission“ – Im Artikel heißt es: „Zudem seien auch Kirchen- und Katholikentage mehr als ‚missionarische Großereignisse‘, sondern ebenfalls ein ‚Forum für den Dialog zwischen Menschen mit anderen und ohne religiöse Überzeugungen.'“

Nunja, so preisen sich die Kirchentage nach außen gerne an. Aber sowohl evangelische als auch katholische Kirche benennen im Vorfeld dieser Veranstaltungen auch klar, dass es ihnen eben nicht primär um den gleichberechtigten Dialog mit den Konfessionsfreien in der Region ginge, sondern um Mission. Darum, einen Weg aus der selbstbenannten „Diaspora“ zu finden. (Vgl. u.a.: „Missionsfeld Ostdeutschland“  oder auch: „Deshalb widmet der Kirchentag ihnen [den Konfessionsfreien; Anm.] seine besondere Aufmerksamkeit: ‚Konfessionslose im Verkündigungsdienst‘ und ‚Atheisten für den Glauben gewinnen!‘ – so heißt es im Zentrum Gemeinde. Na, denn: Herz ans Hirn.“; aus dem im Ganzen unsäglich herablassenden Artikel, der spätestens seit dem 01.10.2014 nicht mehr unter www.kirchentag.de/aktuell/doppelpunkt/april-2011-herz-an-hirn.htmlabrufbar ist.)

Insofern scheint es sich – auch in Anbetracht der Erfahrungen während des EKT 2011 – vielmehr um ein doppelzüngiges Lippenbekenntnis zu handeln, wenn die Amtskirchen bzw. ihre Laienverbände betonen, ihre Festivitäten richteten sich an alle. Wenn Konfessionsfreie im Rahmen von Kirchentagen adressiert werden, dann doch ganz überwiegend als „noch zu Bekehrende“ oder auch als „zurück-zu-Gewinnende“.

Und spätestens hier wird doch wohl verständlich, dass dezidiert kirchenferne Bürgerinnen und Bürger nicht aus allgemeinen Haushalten für die Missionierungsbemühungen christlicher Institutionen bezahlen wollen!

„Radikal“ oder „extrem“ wäre es gewesen, wenn sich die gbs oder Leipziger Bürgerinnen und Bürger dafür eingesetzt hätten, den Katholikentag ganz aus Leipzig zu vergraulen. Wenn irgendwer gesagt oder geschrieben hätte: „Ihr habt hier nix zu suchen. Wir wollen hier keinen Katholikentag.“ Das hätte in der Tat die Bezeichnung „kirchenfeindlich“ verdient.

Aber niemand hat solche Forderungen erhoben. Die gbs-Regionalgruppen, die an der Aktion „11. Gebot“ in Leipzig mitgewirkt haben, haben sowohl in ihren Pressestatements als auch vor Ort gegenüber BürgerInnen und Stadtrat klar gemacht, dass sie nicht in Frage stellen, dass der Katholikentag in Leipzig geschehen soll. Das Ausmaß der Vereinnahmung des öffentlichen Raums und die Finanzierung des Spektakels sind Fragen des Wie und keine des Ob.

„Wenn das hinter der Kampagne stehende Motiv erfolgreich umgesetzt wäre, wäre die Benachteiligung von kirchlichen Veranstaltungen gegenüber allen anderen Kulturereignissen das Ergebnis. Denn neben den regelmäßigen Kirchentagen gibt es jedes Jahr unzählige andere kleinere und größere Events, die ebenfalls durch die öffentliche Hand unterstützt werden.“

Die vermeintlich drohende Benachteiligung religiöser Veranstaltungen ist sachlich nicht zu halten. So ist es ja durchaus denkbar, dass Leipzig einzelne Veranstaltung im Rahmen des Kirchentages zweckbezogen bezuschusst. Dass etwa Dialog-Veranstaltungen zwischen allen Weltanschauungen aber auch Konzerte, Performances und Theateraufführungen durch die Kommune unterstützt und beworben werden. Aber Blanko-Schecks über 3 Millionen vom Land und über 1 Million von der Stadt? „Macht damit, was ihr wollt! Gehet hin und missioniert!“…?

Auch das mietfreie Bereitstellen öffentlicher Gebäude und Plätze ist bereits ein Entgegenkommen. Wenn Rathaus oder Landtag (in Dresden), die eigentlich als Räume der staatlichen weltanschaulichen Neutralität unterliegen sollten, von Kirchentagsveranstaltungen genutzt werden, wenn Turnhallen und Schulen als Herbergen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, wenn Polizei und ÖPNV Absperrungen, Umleitungen etc. einrichten… dann ist all dies doch bereits staatliche Unterstützung, Dienstleistung und Infrastruktur, die den Kirchentagen gratis von der jeweils gastgebenden Stadt geboten wird.

Im Fußball wird darüber diskutiert, dass sich die Vereine bzw. die Ligen bitte an den zahlreichen und aufwändigen Polizei-Einsätzen zu den Spielen beteiligen mögen – was ich befürworte! Die Kirchentage bekommen solche Leistungen gratis und halten obendrein noch die Hand auf!

Auch sonst werden kirchliche Kulturveranstaltungen (im Osten Deutschlands) keineswegs benachteiligt oder finanziell „trockengelegt“.

Beispiel: Gerade in Dresden und Leipzig sind mit dem Kreuz- und Thomanerchor christliche Institutionen wichtige Kulturbotschafter dieser Städte. Und sie werden aus öffentlicher Hand üppig gefördert. Die Stadt Dresden hat gar eine eigene Stiftung für den Kreuzchor und dessen Internat aufgelegt, damit beides unabhänig von der kommunalen Finanzlage dauerhaft arbeiten und wirken kann. In dieser Stiftung hat die Stadt mehr als 10 Millionen Euro angelegt! Das wird von der Bevölkerung hier nicht in Frage gestellt.

Frieder Otto Wolf sagt im Artikel: „Es macht also wenig Sinn zu behaupten, dass der kulturelle Beitrag konfessionell bzw. weltanschaulich ausgerichteter öffentlicher Veranstaltungen per se keiner öffentlichen Förderung würdig ist.“

Und damit hat er recht. Denn diese Behauptung stellt niemand auf. Natürlich können auch konfessionell bzw. weltanschaulich ausgerichtete Veranstaltungen förderungswürdig sein. Erneut: Es ist eine Frage des WIE. Und der simple Anlass, dass eine Laienbewegung sich selbst gern im Kreise von geschätzten 80.000 Gleich-Glaubenden treffen will, ist an sich noch keiner öffentlichen Förderung wert.

Dementsprechend stellt der Appell, den die gbs-Regionalgruppen verfasst und an den Leipziger Stadtrat adressiert haben, auch fest: „Die öffentliche Finanzierung innerkirchlicher Angelegenheiten widerspricht der von der Verfassung geforderten weltanschaulichen Neutralität des Staates.“
Appell an Leipziger Ratsversammlung (pdf)

Der Katholikentag muss sich – wie alle anderen Großevents auch – fragen lassen, was er der allgemeinen – auch der Nicht-Gläubigen! – Bevölkerung bieten will. Mit konkreten Vorschlägen kann er Anträge bei Stadt und Land einreichen. Und diese können bewilligt oder abgelehnt werden. Blanko-Schecks verbieten sich, wenn Mission eines der erklärten Ziele dieses Events ist. Siehe oben.

„Die Abwendung vom christlichen Glauben [führe] nicht zwangsläufig zur Verinnerlichung tragfähiger ethischer Überzeugungen. Als Beispiel führte Wolf hier die Präsenz rechtsextremer Parteien im sächsischen Landtag und den Erfolg europafeindlicher Kräfte bei den jüngsten Stadtratswahlen an.“

Dem ersten Satz mag man zustimmen, denn er ist beinahe tautologisch. Der zweite erscheint in seinen impliziten Aussagen sehr unbedacht. Und das ist vorsichtig ausgedrückt. Denn das lässt sich auch so lesen, dass der Rückgang der Religiosität in Sachsen kausal verantwortlich sei für den Erfolg rechter Ansichten und Parteien. Wir empfehlen Herrn Prof. Dr. Wolf ganz dringend einen genaueren Blick für die Verhältnisse:

a) In den großen Städten Sachsens (ergo: Leipzig und Dresden), in denen der Anteil religiöser Menschen am geringsten ist, ist auch der Zuspruch für rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien am geringsten. Linke, Grüne und SPD fahren in diesen Städten überdurchschnittliche Ergebnisse ein, NPD und AfD liegen hier massiv unter den sonstigen Zustimmungswerten im Freistaat Sachsen.

b) In den ländlichen Regionen Sachsens, wo ein größerer Teil der Bevölkerung noch kirchlich verwurzelt ist, gibt es eine signifant größere Affinität zum politisch rechten Lager. Und das, obwohl die CDU in diesen Gegenden bereits einen Großteil der konservativ gesinnten WählerInnen auf sich vereint.

c) Das zeigt erst mal, dass die Nicht-Religiosität keineswegs den Nährboden für rechte Gesinnungen darstellt. Es wäre allerdings ebenfalls falsch, daraus zu schließen, dass religiöse Menschen eher rechten Parteien nahestehen. (Obwohl bundesweite Umfragen und Studien dies tatsächlich nahelegen…)

d) Wirtschaftliche Faktoren, mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten, Arbeitslosigkeit, Wegzug der Jugendlichen etc. sind weitaus bedeutendere Ursachen für die Frustration und die politische Verführbarkeit vieler Menschen in den ländlichen Regionen Sachsens.

Wir sind enttäuscht über die obige, nicht-haltbare Äußerung von Frieder Otto Wolf. Es ist fraglich, was er damit bezwecken wollte. Am ehesten spielt er damit den Kirchen in die Hände und ihrem ewigen (und unrichtigen) Mantra, sie seien notwendige, unersetzliche Vermittler von Normen und Werten. War das beabsichtigt?

„Offen bleibt die Frage, weshalb gerade ein Teil derjenigen Konfessionsfreien, die sich der bedeutenden Traditionslinie nichtreligiöser und humanistischer Überzeugungen bewusst sind und sich in ihr wiederfinden, vollständig auf die Förderung eigener Veranstaltungen zur Begegnung und öffentlichen Vorstellung verzichten sollten.“

Auch das ist sachlich nicht richtig. Wie oben schon angeführt, können auch dezidiert religiös / weltanschaulich geprägte Veranstaltungen durchaus förderungswürdig sein. Derzeit geschieht diese Förderung aber enorm einseitig und kommt einzig den christlichen Kirchen zu Gute. Es ist nicht einmal eine Frage, was wohl geschehen würde, wenn ein muslimischer Verband beim Land Fördermittel in Millionenhöhe für ein religiöses Stell-Dich-Ein beantragen würde. Die CDU-geführte Landesregierung würde mit fragwürdigen und sicher populistischen Argumenten aus der Fremdenangst- und Leutkultur-Kiste dagegen opponieren. Auch dezidiert atheistische Veranstaltungen erscheinen Stadt und Land nicht förderungswürdig, wie abschlägige Bescheide anlässlich der „Religionsfreien Zone“ 2011 in Dresden belegen.

Wenn man in dieser Hinsicht Gleichbehandlung erreichen möchte, scheint es unumgänglich zu sein, erst einmal die Privilegierungen für christliche Events klar zu benennen und in Frage zu stellen. Erst dann sind Politik und Kirchen im Zugzwang und müssen sich von der Bevölkerung fragen lassen, warum sie diese Privilegien den anderen Weltanschauungen verweigern. Der Appell, auf den oben bereits verwiesen wurde, macht deutlich, dass er auf Gleichbehandlung abzielt:

„Schließlich sei auch an dieser Stelle noch einmal an die Folgekosten erinnert, die sich aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben: Will die Stadt [Leipzig] gegen diesen nicht verstoßen, muss sie künftig auch weniger lukrative Veranstaltungen anderer Konfessionen [und Weltanschauungen] mit entsprechenden Geldern fördern.“ Dies ist doch sicherlich eine Forderung, die auch der HVD unterstützen würde, nicht?

„Die Kampagne gegen den Katholikentag in Leipzig [erscheint] als nicht mehr als eine irreführende Leimrute radikaler Kirchengegner – deren Ziele sich aber in letzter Konsequenz gegen Gläubige und Nichtgläubige gleichermaßen richten.“

Lieber Arik Platzek, es fällt schwer, diese diffamierende Polemik im Schlussabsatz nicht persönlich zu nehmen. In Anbetracht des oben geschriebenen erklärt sich das wohl von selbst.

Beim nächsten Mal wäre es schön, die Ansätze und Haltungen von HVD und gbs in einer direkten Gegenüber- oder Nebeneinanderstellung abzugleichen. Solche Schmähschriften mit fragwürdigen Argumenten und Äußerungen hingegen sind unseres Erachtens unter Deinem/Eurem Niveau. Auf künftige Zusammenarbeit freuen sich nichtsdestominder

Falko Pietsch
sowie die Initiatoren der Kampagne „Das 11. Gebot“ von gbs Augsburg, gbs-Hochschulgruppe Jena, gbs Mittelthüringen, gbs Halle/Leipzig, gbs Stuttgart
und gbs Dresden

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