Grüne: Dr. Achim Wesjohann (WK 42, LTW 2014)

Sehr geehrter Herr Brade,

vielen Dank für die Fragen! Hier meine Antworten:

I. GESELLSCHAFT

1. Förderpolitik: Was werden Sie unternehmen, damit alle in Sachsen lebenden Menschen ihren kulturellen Neigungen diskriminierungsfrei nachgehen können und öffentliche Förderung für diese Aktivitäten finden?
Leider weiß ich nicht, was Sie unter „kulturellen Neigungen“ verstehen, daher kann ich nur pauschal antworten, dass eine auskömmliche Finanzierung der Kultur – beispielsweise durch die Weiterentwicklung des Kulturraumgesetzes – zu garantieren ist. Förderzusagen dürfen selbstverständlich nicht an Kriterien wie z. B. der Religion, der sexuellen Orientierung oder der Herkunft der Antragssteller_innen gebunden werden.

2. Gewaltprävention: Wie werden Sie sich für Integrationskurse, Sozialarbeit und schulische Lerninhalte zur Prävention gegen Gewalt „im Namen der Ehre“ und Zwangsverheiratung einsetzen?
Hier sehe ich primär die Notwendigkeit, Schulsozialarbeit zu ermöglichen, indem sie ausreichend im sächsischen Doppelhaushalt gefördert wird. Inwiefern die genannten Problemfelder in Sachsen ein Schwerpunkt sein sollten, sehe ich noch als ungeklärt an.

3. Verdachtsunabhängige Personenkontrollen: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um Polizeibedienstete für „Racial Profiling“ zu sensibilisieren und diesem vorzubeugen?
Es gilt, die Sensibilisierung für eine Vielzahl von Phänomenen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit durch Bildungsmaßnahmen zu erreichen. Außerdem könnte die Beschäftigung von mehr Polizeibeamt_innen mit Migrationshintergrund Verbesserungen mit sich bringen.

4. Gesellschaftliches Miteinander: Was werden Sie unternehmen, um Diskriminierung von und Vorbehalte gegenüber trans- und intersexuellen Menschen abzubauen? AK
Ich verweise auf den Entschließungsantrag unserer Landtagsfraktion zur Großen Anfrage „Situation der Nichtheterosexuellen in Sachsen“ (Drs 5/5917), worin die Entwicklung eines Aktionsplans gegen Homophobie und Transphobie in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren gefordert wird. Außerdem muss Kindern und Jugendlichen in der Schule das Wissen um sexuelle Vielfalt vermittelt werden.

5. Feiertagskultur: Die Einschränkungen an so genannten „Stillen Feiertagen“ (Verbot von Tanz- und Sportveranstaltungen, Film- und Theateraufführungen sowie Demonstrationen) werden von der Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert. Wie werden Sie sich für die Abschaffung der vorgenannten Einschränkungen einsetzen?
Ich halte pauschale Tanzverbote für falsch, lege aber auch Wert darauf, dass die stillen Feiertage respektiert werden. Tanzveranstaltungen, die Gottesdienste und Gedenkveranstaltungen nicht stören, sollten zugelassen werden. Dabei sind jedes Mal lokale Besonderheiten zu berücksichtigen, weswegen man über kommunale Lösungen, bei denen die Belange aller Beteiligten unmittelbar berücksichtigt werden können, nachdenken sollte. Regionale Besonderheiten wie die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung sind zu berücksichtigen. Außerdem ist der unterschiedliche Stellenwert der Feiertage zu bedenken – der Volkstrauertag ist z. B. kein religiöser Feiertag.

6. Parität: In welche Gremien und Anhörungen werden Sie künftig auch dezidiert säkulare oder Vertreter/-innen der humanistischen Weltanschauung einbeziehen?
Das halte ich für die Gremien für denkbar, in denen die Konfessionen bereits vertreten sind. Die Einladungen zu Anhörungen beziehen sich auf konkrete parlamentarische Initiativen, so dass hier keine pauschalen Einladungen an gewisse Gruppen erfolgen. Unklar ist mir aber noch, wie die Vertreter_innen einer nicht näher definierten humanistischen Weltanschauung bestimmt werden sollen.

7. Staatskirchenrecht: Werden Sie für die Abschaffung der im Jahr 1803 auf Lebenszeit der betroffenen Kleriker vorgesehenen, nunmehr auf Gewohnheitsrecht bzw. Staatsverträgen beruhenden Staatsleistungen an die evangelische und katholische Kirche eintreten? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Grundsätzlich bin ich dafür, aber es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass ich noch keine Lösung für die damit verbundenen rechtlichen Fragen, insbesondere zu erwartender gewaltiger Schadensersatzansprüche kenne.

8. Rechtsgrundlagen: Sehen Sie einen Widerspruch zwischen Artikel 109 Abs. 4 (i.V.m. Art. 138 Abs. 1 WRV) und Artikel 112 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Nein. Daraus, dass das „Reich“ (!) die laut § 138 WRV geforderten Grundsätze nie aufgestellt hat, kann man keinen inneren Widerspruch der Sächsischen Verfassung konstruieren. Das Problem kann eindeutig nur auf Bundesebene gelöst werden.

II. BILDUNG

1. Unabhängigkeit I: Was werden Sie unternehmen, um staatlich hinreichend finanzierte, weltanschaulich und politisch neutrale sowie von wirtschaftlichen Vertriebsinteressen unabhängige Bildung in Kitas und Schulen zu gewährleisten?
Dies ist eine Finanzierungsfrage und also in den Haushaltsverhandlungen zu klären. Bis 2020 wollen wir GRÜNE 10.000 neue LehrerInnen einstellen. Allerdings lehnen wir auch eine Benachteiligung Freier Schulen, wie sie bislang faktisch gegeben war, ab.

2. „Herdprämie“: Werden Sie über den Bundesrat für die Abschaffung des Betreuungsgeldes eintreten? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Das Betreuungsgeld ist familienpolitischer Blödsinn und daher abzuschaffen. Insbesondere das Fernhalten von Kindern von frühkindlicher Bildung und dem Austausch mit anderen Kindern zur Entwicklung von Sozialkompetenz spricht dagegen.

3. Familienbilder: Befürworten Sie die Darstellung von Patchwork-Familien, Regenbogenfamilien, (kinderlosen) Lebenspartnerschaften zwischen Frauen bzw. Männern sowie von allein erziehenden Müttern oder Vätern als der „klassischen Familie“ gleichwertige und gleichberechtigte Lebensentwürfe in Bildungseinrichtungen? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Ich bin grundsätzlich dafür, dass Schule gesellschaftliche Realität statt Ideologie vermittelt. Deshalb befürworte ich diese Darstellung.

4. „Berliner Modell“: Werden Sie sich außer für evangelischen und katholischen auch für anderen Religions- oder Weltanschauungsunterricht als ordentliche Schulfächer einsetzen? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Ich befürworte ein gemeinsames Pflichtfach „Ethik“ für ALLE Schüler_innen. Der Religionsunterricht soll davon unberührt bleiben.

5. Unabhängigkeit II: Was werden Sie unternehmen, damit Lehre und Forschung frei und unabhängig bleiben bzw. werden? Bedenken Sie bei Ihrer Antwort bitte die bestehende Abhängigkeit von so genannten „Drittmitteln“, Stiftungsprofessuren bzw. Beschränkungen durch religiöse Glaubensinhalte.
Grundsätzlich ist durch eine bessere Grundfinanzierung die Abhängigkeit von Drittmitteln zurückzufahren. Stiftungsprofessuren müssen den Gremien, Leitbildern und Studienordnungen, mit denen die Universitäten selbst, die Freiheit von Lehre und Forschung sichern, unterworfen sein. Ansonsten wäre ich als Abgeordneter für Hinweise auf konkrete Beschränkungen von Forschung durch Glaubensinhalte in Sachsen dankbar.

6. Geschlechterrollen: Was werden Sie außer der Unterstützung von „Girls‘ Days“ und „Boys‘ Days“ unternehmen, um Diskriminierung von und Vorbehalte gegenüber Männern in „Frauenberufen“ und Frauen in „Männerberufen“ abzubauen, mithin Geschlechterrollen zu öffnen?
Es bedarf geschlechtersensiblen Unterrichts und einer entsprechenden Qualifizierung der Lehrer_innen. Schüler_innen müssen geschlechtersensibel beraten werden, wenn sie ihr Profil in der 7. Klass wählen. Gezielte Programme, um insbesondere Mädchen für die MINT-Fächer zu interessieren, sind sinnvoll.

7. Lebenslanges Lernen: Welche Kernelemente wird Ihr „Sächsisches Bildungsurlaubsgesetz“ beinhalten?
Rechtsanspruch auf Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung eines Arbeitsentgeltes für zehn Arbeitstage in zwei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren zum Zwecke der beruflichen, politischen und allgemeinen Weiterbildung erhalten. Erstattung eines Anteils am fortzuzahlenden Arbeitsentgelt für Betriebe mit unter zehn Beschäftigten.

III. GESUNDHEIT

1. Patientenrechte: Es sind Fälle bekannt geworden, in denen sich Ärzte aufgrund ihrer individuellen moralischen Ansichten über rechtsverbindliche Patientenverfügungen hinweg gesetzt haben. Wie werden Sie künftig die Einhaltung von Patientenverfügungen sicherstellen?
Durch die Stärkung der Rolle der Vertrauensperson.

2. Organspende: Welche Maßnahmen werden Sie zur Sicherstellung des ordentlichen Ablaufs von Organspenden und Transplantationen ergreifen?
Einrichtung einer speziellen Ermittlungsgruppe bei einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Sachsen.

3. Selbstbestimmung: Befürworten Sie, Krankenhäusern den Versorgungsauftrag zu entziehen, wenn diese Patientinnen und Patienten die reproduktive Selbstbestimmung aus nicht-medizinischen Gründen verweigern? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Ich bin für die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerinnen beim Zugang zu reproduktionsmedizinischen Leistungen. Leider kann ich anhand der Fragestellung nicht erkennen, wie weit der „Versorgungsauftrag“ gefasst sein soll, ich kann mir aber Sanktionen vorstellen.

4. Selbstbestimmung am Lebensende: Werden Sie im Bundesrat eine Verschärfung der Rechtslage in Hinblick auf die Sterbehilfe ablehnen?
Diese Frage kann ich noch nicht abschließend beantworten. Auch wenn ich nicht weiß, was Sie unter einer „Verschärfung“ verstehen, vermute ich, dass ich eine solche nicht für notwendig halte.

IV. TIERRECHTE

1. Sentience Politics: Wie stehen Sie zu Forderungen, Grundrechte auf (nicht-menschliche) Tiere auszuweiten? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Ich halte eine Definition von Grundrechten nicht-menschlicher Tiere für denkbar, aber eine „Ausweitung“ bestehender Grundrechte (wie Versammlungsfreiheit, Briefgeheimnis usw.) kann ich mir nicht vorstellen.

2. Tierrechte I: Werden Sie sich für ein Verbot von Wildtieren in Zirkussen einsetzen? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Ja. Das ist nur Quälerei.

3. Tierrechte II: Welchen Einfluss werden Sie auf unwürdige Lebensbedingungen von Menschenaffen und anderen empfindungsfähigen Lebewesen in zoologischen Gärten nehmen?
Auf Landesebene ist das von uns GRÜNEN geforderte Verbandsklagerecht von Tierschutzverbänden ein Weg, die genannten Bedingungen zu ändern.

V. BUNDESRAT

1. Gleichbehandlung: Werden Sie sich über den Bundesrat für eine Abschaffung des „besonderen Tendenzschutzes“ (insbes. § 9 Abs. 2 AGG und § 118 Abs. 2 BetrVG) einsetzen? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Ich vertrete als Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft GewerkschaftsGrün auch hier gewerkschaftliche Positionen: Der besondere Tendenzschutz soll nur für die mit der religiösen Verkündigung Befassten (z. B. Priester_innen) gelten. Für weitere Beschäftigte kirchlicher (z. B. sozialer) Einrichtungen lehne ich ein Sonderarbeitsrecht genauso wie das Bekenntnis als Einstellungskriterium ab.

2. Justizopfer: Werden Sie sich über den Bundesrat für eine individualisierte Justizopferentschädigung z.B. entsprechend dem zivilen Schadensersatzrecht einsetzen? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Ja.

VI. PERSÖNLICHE ANSICHTEN

1. Migration: Sind Sie der Auffassung, dass sich im Tod von Flüchtlingen, Asylsuchenden oder Menschen mit Migrationshintergrund auch (integrations-) politisches Versagen widerspiegelt? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Sofern hier von Menschen, die auf der Flucht oder durch rassistisch motivierte Gewalt sterben, die Rede ist, halte ich das für offensichtlich.

2. Werte: Sind Sie der Auffassung, dass sich die Menschen- und Grundrechte aus religiösen Glaubensinhalten ableiten? Begründen Sie bitte ggf. Ihre Antwort in nicht mehr als zwei Sätzen.
Nein. Auch wenn die Religionen bei der historischen Genese von Menschenrechten eine Rolle spielten, „leiten“ diese sich nicht davon ab in dem Sinne, dass sie durch sie ausschließlich begründet würden.

Das war’s.

Freundliche Grüße
Achim Wesjohann

www.achim-wesjohann.de

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