Beginn war um 10.00 Uhr vormittags in der Fußgängerzone „Prager Straße“. Der hübsche Boulevard mit Springbrunnen, Bänken und Bäumen sowie Geschäften, Kinos und Hotels ist eine beliebte Flaniermeile. An diesem gut besuchten Ort, wurde der Stand aufgeschlagen. Als ich zusammen mit dem Schatzmeister des Vereins, Michael Brade, dort eintraf, hatten die anderen Mitglieder schon den Stand inklusive eines Pavillons aufgebaut. Überraschenderweise gab der Vorstandssprecher einem Team vom Mitteldeutschen Rundfunk mdr ein paar Meter entfernt ein Interview. Nach einer kurzen und unkomplizierten Begrüßung ging die eigentliche Arbeit sofort los.
Hauptaufgabe war es, mit Interessierten ins Gespräch zu kommen, Infomaterial, Buttons, Aufkleber und Broschüren zur Giordano Bruno Stiftung zu verteilen und die Vereinsziele zu vermitteln. Außerdem konnten Bücher wie „Die Kirche im Kopf“, das „Violettbuch Kirchenfinanzen“ und „Der Jesuswahn“ erworben werden. Es waren meist vier bis fünf Leute, die mehrere Stunden am Stück anwesend waren und den Stand betreuten. Die zumeist jungen Erwachsenen, gaben Fragenden umfangreiche Auskünfte und unterhielten sich bisweilen auch längere Zeit mit ihnen.
„Jesus rettet“
Kaum waren ein paar Minuten vergangen tauchte ein Mann mit einem Fahrrad auf, auf dem ein großes Schild mit der Aufschrift „JESUS RETTET“ befestigt war. Er hielt wenige Meter von uns entfernt an und begann laut die alleinige Errettung durch Jesu Christi in einem Singsang zu verkünden. „Die beste Werbung für uns.“, sagte ich einem meiner Kollegen grinsend, der das Grinsen erwiderte. Nach einer kurzen Weile ging Michael auf ihn zu und fragte, ob er nur singen oder auch diskutieren wolle. Der Mann entschied sich für ersteres und ignorierte ihn. Wir gaben ihm nach einer Weile die Broschüre “Zehn Gebote? Zehn Angebote!“ und er stieg singend auf sein Rad und fuhr davon.
Eine halbe Stunde später tauchte er wieder auf. Das kleine Heft hatte er wohl gelesen, denn er rief, selbiges in der Hand wedelnd, der Humanismus sei der größte Götze auf Erden und habe zum Hitler-Regime geführt. Einer von uns ging auf ihn zu probierte noch mal mit ihm zu reden, was auch gelang. Da es sonst gerade nichts zu tun gab, trat ich dazu, um das Gespräch zu verfolgen. Als der Jesus-Fan von der großen Ethik Jesu zu sprechen begann, schritt ich ein und sagte, dass Jesus nicht gerade, ein gutes Vorbild sei, wie man im Matthäus-Evangelium nachlesen könne.
Eine Frau aus Kanaan bat Jesus um Hilfe, doch er äußerte sich geradezu rassistisch ihr gegenüber: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“. Nach weiterem Flehen der Frau meinte er: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.“ Dass Jesus der Frau dann doch half, begründete der Mann damit, dass Jesus, der von ihrer Hartnäckigkeit schon vorher wusste, hören wollte, wie die Frau von ihrem Glauben reden macht: „Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“. Jesus antwortete ihr: „Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen.“
Die Absurdität der Geschichte war mir schon früh aufgefallen. Wenn Jesus wusste, dass der Glaube der Frau so stark ist, wozu sie dann noch länger hinhalten? Im Nachhinein bemerkte ich auch, dass die Frau sich erst selbst erniedrigen musste, bevor er ihr half. Soll das ein ethisches Vorbild sein?
Die Diskussion brach bald ab und der Mann schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr davon. (Um zu sehen, ob diese Begebenheit ein Einzelfall war, fragte ich am Abend des letzten Tages in unsere Runde, ob noch mal so ein Fundamentalist wie dieser aufgetaucht sei, was glücklicherweise alle verneinten.)
Gegenveranstaltung?
Andere Gespräche waren erfreulicher. Ich hatte insgesamt nicht so viel Zuspruch erwartet, aber es bestärkte meine Ansicht, dass es wichtig war, was wir hier taten. Häufig hörte man „Macht weiter so!“ und „Viel Erfolg noch!“ Bezeichnenderweise meinten bemerkenswert viele, sie würden es bedauern, dass sie nicht an den Veranstaltungen teilnehmen könnten, weil sie sich schon entschieden hätten zu Verwandten zu fahren oder außerhalb der Stadt zu campen, um so dem EKT zu entfliehen.
Auch die hohe Spendenbereitschaft verblüffte mich. Entweder gab man uns Spenden einfach so oder verzichtete beim Kauf eines T-Shirts oder eines Buches auf das Wechselgeld. „Man kennt uns anscheinend schon, denn die Leute fragen, im Gegensatz zu den ersten Terminen, kaum noch wer wir sind.“, sagte mir einer von uns noch. U. a. erzählte ein Besucher des Infostands erzählte noch von seinem Sohn, der im Alter von 14 Jahren aus sozialen Gründen (Freunde treffen) in die Kirche eingetreten und mit 18 wegen Nichtgläubigkeit wieder ausgetreten war.
Ein Missverständnis hielt sich trotz der vielen Gespräche und Informationen bei Gläubigen wie Nichtgläubigen: Dass die “Religionsfreie Zone” keine Gegenveranstaltung, sondern eine Alternative zum Kirchentag wäre und der Verein auch eigene Auffassungen und Ideen haben, musste mehrfach erklärt werden.
Es war früher Nachmittag als eine Frau quer über den Boulevard auf unseren Stand zu eilte. Sie blieb direkt vor mir stehen und fragte: „Wovor haben Sie Angst?“. „Wovor haben Sie Angst?“, erwiderte ich. „… Wiedersehen.“, antwortete sie etwas irritiert und hastete im gleichen Tempo davon, wie sie gekommen war.
Noch etwas später kam ein älterer Teenager zu uns. Nachdem er sich über unsere Ziele erkundigt hatte, meinte er, dass es doch einen Schöpfer geben müsste, der alles hatte beginnen lassen. Ich erklärte ihm, dass man das das Kosmologische Argument nannte und führte aus, dass das Prinzip „Von nichts kommt nichts“ nur für den Mesokosmos, den Vorstellungsraum des Menschen gelte (etwa Ameise-Mond), aber weder zwingend für den Makrokosmos (Sterne, Galaxien,…), noch für den Mikrokosmos (Bakterien, Atom,…) gelte. Die Quantenfluktuation, so erklärte ich weiter, beschreibe das Verhalten dieser winzigen Teilchen, aus dem Nichts zu entstehen und wieder zu verschwinden, was unserer Alltagslogik ja detrimental widerspreche und deshalb einen Schöpfer überflüssig macht. „Meine Freundinnen wollen weiter.“, meinte der Junge kurz darauf. Er verabschiedete sich höflich und ging mit seinen Begleiterinnen, die einige Meter entfernt standen, davon. Ich hätte es mir auch wesentlich einfacher machen können. Wenn man sagt, dass alles eine Erstursache haben muss, kann man die Ursachenkette nicht an einem beliebigen Punkt beenden und ihn Gott nennen. Oder man könnte diese Erstursache auch einfach als Urknall bezeichnen.
RFZ vs. EKT?
Ein junger Mann, der von den Organisatoren des EKT war, kam zweimal bei uns vorbei. Beim zweiten Mal meinte er unter anderem, wir hätten sein Logo geklaut. Natürlich ist das “Hirn”-Logo der “Religionfreien Zone” an das offizielle Logo angelehnt, doch den Vorwurf des Diebstahls geistigen Eigentums sollte man mit Vorsicht genießen, weil er keinerlei juristische Grundlage besitzt (und solche Vorwürfe im Sinne falscher Verdächtigung tatsächlich strafbar sind. Außerdem entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn ein (organisierter) Christ von Diebstahl spricht. Man denke nur an die Übernahme von heidnischen Festen, Bräuchen und Symbolen wie Weihnachten, Ostern, Ostereier, -hase und -feuer.
Ferner berichtete man mir, dass die Dresdner Verkehrsbetriebe AG (DVB) im Jahre 2009 die so genannte atheistische Buskampagne nicht zuließen, weil man befürchtete, religiöse Gefühle zu verletzen. Doch wenn es diese gäbe, dann gibt es auch atheistische Gefühle, die durch die zahllosen Kirchentagsplakate verletzt würden, wurde mit einem Augenzwinkern ergänzt.
Das Wetter war an diesem Tag sehr wechselhaft. Man fror oder schwitze bei einem beständigen Sonne-Wolken-Mix.
Am frühen Abend wollten einige Kirchentagsbesucher unsere Buttons und Aufkleber nicht mitnehmen. Der Grund war ebenso ernüchternd wie aufschlussreich. Sie seien auf andere gestoßen, die bereits an unserem Stand gewesen waren und diese hatten, in einer nicht näher genannten Wiese, Ärger mit EKT-Organisatoren wegen des Tragens unserer Buttons bekommen. So viel zum Thema Nächstenliebe.
Später kam eine Gruppe von jungen Frauen, die einen Jungesellinnen-Abschied feierten. „Ihr tut uns Leid!“, rief eine, diskutieren wollten sie nicht. Einen ähnlichen, unangenehmeren Zwischenfall gab es mit einer anderen Gruppe von (männlichen) Junggesellen, die sich, offensichtlich reichlich betrunken, auf unsere Bierbänke setzten rumgrölten und im Weggehen einige Flyer auf den Boden schmissen.
Das Ergebnis des Tages konnte sich dennoch sehen lassen: Fast alle Buttons und Aufkleber waren weggegeben worden, und der Zuspruch der Leute nie abgeflaut. Eigentlich sollte um 18.00 Uhr Schluss sein, doch es dauerte noch eine Weile bis wir schließlich zusammenpackten.
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