Samstag, 4. Juni

Auch den letzten Tag der Religionsfreien Zone bestimmte die Sonne. Einer unserer Mitwirkenden sagte, es würde etwas über eine Art Wunder in der Sächsischen Zeitung stehen. Ein Blick auf die Online-Seite brachte Gewissheit. In der gestrigen Ausgabe stand:

„‚Zeigt noch einmal eure Herzhand, hebt sie nach oben und schaut in den Himmel. Er ist hell geworden.‘ Im Augenblick, als Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckhardt am Mittwoch kurz nach 18 Uhr diese Worte auf der Bühne am Elbufer spricht, gibt eine dunkelgraue Wolke die Sonne erstmals an diesem Tag preis. Begeisterter Applaus, herzliches Lachen, gläubige und ungläubige Blicke und spontane Tränen.“

Man hätte auch einfach den widerauferstandenen Wetterpropheten Kachelmann fragen können – der hätte sicher auch Auskunft gegeben, überlegte ich spöttisch. Die Leichtgläubigkeit dieser Leute machte mich tatsächlich sprachlos. Aber es erklärte mir (mal wieder), warum diese Menschen glaubten. Wem bei einer solchen Banalität wie einem Wolkenriss die Tränen kommen, ist für fast alles zugänglich. Mir fiel wieder ein, was Karlheinz Deschner im Film gesagt hatte: „Je größer der Dachschaden, desto schöner der Aufblick zum Himmel.“

Gespräche

Wie schon die Tage zuvor erlebte ich auch heute viele Gespräche mit jugendlichen Christen. Ein Mädchen kam mit einer häufig gemachten Gleichsetzung: „Ihr „glaubt“ ja auch.“ „Ja.“, antwortete ich, „aber „glauben“ und „glauben“ ist nicht dasselbe. Das nennt man Homonymie. Wenn ich sage, ich glaube, es wird morgen zum Frühstück Cornflakes geben ist das ein völlig anderes „glauben“ als wenn ich sage, ich glaube, dass Jesus Christus von einer Jungfrau geboren wurde und für die Sünden der Menschheit gestorben ist – es ist quasi ein Teekesselchen.“ Es stellte sich heraus, dass sie mit dem Christentum nicht viel anfangen konnte. Aber ihre Vorstellung von Gott war geradezu abenteuerlich. Sie glaubte zwar, Gott wäre in allem enthalten, wehrte sich aber strikt dagegen als Pantheisten bezeichnet zu werden, weil Gott für Pantheisten ja unpersönlich sei. Da er in ihrer Vorstellung aber in jeder Person zu finden sei, sei er deshalb auch ein persönlicher Gott. Ich probierte noch einmal, ihr den Pantheismus zu erklären, denke aber nicht, dass sie meine Erklärung verstanden hat. Und auch sie hatte das Die-Kirchen-tun-ja-so-viel-Gutes-Argument auf Lager. Nach der Erläuterung des hohen staatlichen Anteils an der Finanzierung ergänzte ich noch, dass der Staat auch noch die Gebäude für Caritas und Diakonie baue. Sollte eine Einrichtung dann wieder vom Staat übernommen werden, argumentierten sie irrwitzigerweise, dass man die Gebäude ja kaufen könne. Und das obwohl vorher alles aus Steuergeldern kam – so viel zu „Geben ist seliger denn nehmen.“

Nudelmesse

Um 15.00 Uhr luden die „Pastafari“ zu einer Nudelmesse ein. Die Pastafari sind die Anhänger der Kirche des Fliegenden Spaghetti-Monsters (FSM), einer Religionssatire aus den USA, die sogar ein eigenes Evangelium hat. Wer wollte, konnte sich „taufen“ lassen. (In den USA ist die Kirche bereits anerkannt.)

LGBT

Um 16.00 Uhr folgte ein Vortrag von Hartmut Rus, Mitglied des LSVD (Lesben- und Schwulen-Verband Deutschland). Er referierte über Einrichtungen und Methoden, so genannter Homoheiler. Diese religiös-fundamentalen (keineswegs nur christlichen) Bewegungen versuchen Homosexuelle zur Heterosexualität. Schwerpunkte seines Vortrages waren beispielsweise die Organisationen Wüstenstrom e.V. und Campus für Christus. Veranschaulicht wurde das Ganze noch mit Fernsehausschnitten, die die skrupellosen Züge dieser Leute klar machten. Morddrohungen von Anonymen, finanzielle Ausbeutung unter Vorgabe von Hilfe, Bücher mit ekelhaften Anleitungen zum psychischen Selbst-Fertigmachen; die Liste ließe sich beliebig verlängern. Ein besonders herausragender Punkt war, dass mehrere Vereine wie „Weißes Kreuz e.V.“ oder „Offensive Junger Christen e.V.“ Fachverbände des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sind! Diese werden offiziell von der Kirche unterstützt und gefördert, also von Menschen wie der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann! (Der EKT-Mitorganisator, der am Samstag am Stand aufgetaucht war, hatte unseren Verweis auf die dortigen homophonen, evangelikalen Fundamentalisten mit einem läppischen: „Schwarze Schafe gibt’s überall.“ abgetan.)

Der Jesuswahn

Kurz nach 18.00 Uhr begann Heinz-Werner Kubitza seinen Vortrag zu seinem Anfang des Jahres erschienenen Buches „Der Jesuswahn – Wie die Christen sich ihren Gott erschufen“.

Kubitza erzählte kurz aus seinem Leben, seinem Theologie-Studium und seiner, wie er fand, viel zu später Entscheidung dieses Buch zu schreiben. Einleitend berichtete er von den Grausamkeiten im Alten Testament und von Gott Jehwe, der sich häufig selbst quasi als Kriegsgott darstellte, indem er Dinge wie: „So sollst du denn heute erfahren, dass Jahwe, dein Gott, selbst vor dir als ein verzehrendes Feuer hinüberzieht; er wird sie vertilgen, und er wird sie vor dir niederwerfen, so dass du sie rasch aus ihrem Besitze vertreiben und vernichten kannst, wie dir Jahwe zugesagt hat.“ (Dtn 9,3) und „Du wirst alle Völker verzehren, die der Herr, dein Gott, für dich bestimmt. Du sollst in dir kein Mitleid mit ihnen aufsteigen lassen.“ (Dtn 7,16) verkündete.

Es folgte der Hauptteil, der nicht direkt eine Lesung seines Buches, sondern ein auf dem Buch basierender Aufsatz war. Der „Kardinalirrtum Jesu“, wie Kubitza ihn nennt, bestand in Jesus’ häufig gemachten Ankündigungen, des sehr baldigen Kommens von Gottes Himmelreich und der damit verbundenen Apokalypse. Dass diese sich nun bereits um 2000 Jahre verspätet habe, sei einer der stärksten Gründe, dass Jesus nicht der Sohn Gottes sein könne. Kubitza sprach auch die die Dürftigkeit der Quellen an. Außerhalb der Evangelien gäbe es keinen Hinweis, dass dieser Jesus je existiert hätte und es sei erwiesen, dass die Autoren sich ungeniert anderer Mythen und Geschichten bedient hätten, um das Wirken Jesu auszuschmücken.

Der dritte und letzte Teil des Vortrages handelte etwas abseits von den ersten beiden von Esoterikern und New-Age-Anhängern, wie Astrologen, Pendlern und Lichternährern. Kubitza gab einen breiten Überblick über das Sortiment und schloss mit den Worten: „Man fragt sich, hat die geschlossene Station Wandertag?“

Diskussionen

Am Stand schaute noch ein Mann Anfang 20 vorbei, er hatte sich schon länger Zeit mit ein paar anderen lebhaft unterhalten, bis ich dazu kam. Um den anderen eine Pause zu gönnen begann ich mit dem Argument, das ich von Schmidt-Salomon gehört hatte: „Findest du deinen Gott wirklich intelligent?“ „Wieso?“, fragte er. „Nun, zuerst macht Gott Dinosaurier, dann wirft er einen Meteoriten auf die Erde, damit die Dinosaurier wieder sterben und Platz für die Säugetiere machen. Und zum Schluss lässt er einen Teil von sich selbst in einem Teil des Römischen Reiches hinrichten.“, erklärte ich. „Da gehst du aber von einem anderen Gott aus als ich. Ich glaube nämlich nicht, dass Jesus Gottes Sohn ist.“, erwiderte er. Ich war verblüfft – ein Arianist also. „Aber du gehst doch in den Gottesdienst und sagst da das Glaubensbekenntnis inklusive der Dreifaltigkeit auf, oder?“, hakte ich mit Blick auf seinen grünen Kichentagsschal nach. „…ja.“, sagte er schulterzuckend, „Grupenzwang.“ Ich musste ein Lachen unterdrücken. Was von seinem Protestantismus übrig war, könnte man als „Möchtegern-Christentum“ bezeichnen. An anderer Stelle sagte er noch, dass die Juden ja auch errettet werden würde. Was für eine Arroganz, dachte ich bei mir.

Premiere

Die letzte Veranstaltung der Religionsfreien Zone wurde von dem Satiriker Wiglaf Droste und dem ehemaligen Chefredakteur der „Titanic“ Thomas Gsella durchgeführt. Gewitzt lasen beide aus ihren Kolumnen und Kurzgeschichten vor. Beide traten zum ersten Mal gemeinsam auf einer Bühne auf.

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